Wie häufig wurde ich schon gefragt, welche Superkraft ich am liebsten hätte. Ob es fliegen, unsichtbar sein, unterwasser atmen können oder Gedanken lesen wäre. Immer musste ich lange überlegen. Als kleine sechs Jährige, die sich vorstellt, dass ihr Flügel wachsen und sie länger schlafen kann, weil sie viel schneller in der Schule wäre. Oder wen sie alles belauschen würde, wenn sie niemand sähe. Wie ihr Kiemen wachsen würden und sie Meerjungfrau spielen könnte, im Meer bei den Korallen und den Fischen, oder wie ihr die Stimme aus dem Off alles zuflüstert, was andere gerade dachten.
Doch diese Gedanken sind schon lange verblasst. Man hat sich abgefunden, um diese Uhrzeit aufstehen zu müssen, nicht unsichtbar sein können zu müssen, um jede Menge Klatsch und Tratsch auch so mitzubekommen, zu merken, dass man sehr rief tauchen müsste, um die Korallen überhaupt zu sehen zu bekommen Und vorallem, dass man sehr viele Gedanken auch einfach gar nicht zu hören bekommen möchte. Mittlerweile möchte man lieber manchmal verschwinden, möchte, dass einem alles egal ist oder, dass man sich zerreißen könnte. Damit man es endlich einmal allen Menschen auf der Welt, oder die einem wichtig sind, recht machen kann. Hier lernen, hier arbeiten, hier helfen, hier Zeit haben, hier zuhören, hier Sport machen und so weiter und so fort. Und ganz wichtig ist es, sich selbst dabei nicht zu verlieren. "Bleib du selbst, mach das, was dir Spaß macht und setzt Prioritäten", bei denen manchmal nicht einmal eine Wahl hat. Zwischen den ganzen Konfrontationen mit Wünschen und Forderungen kann man nicht sich selbst finden. Man kann sich nicht einmal die Frage beantworten, ob man Dinge für sich selbst oder jemand anderen tut; ob es seine eigene Meinung ist oder eine andere, die man schon längst übernommen hat. Wo definiert man sich selbst und wo ist die Persönlichkeit einfach zu schwammig, um eigene Entscheidungen zu treffen und vor allem niemand anderen verletzten, denn dann verletzt man sich meist auch selbst.
Meine Superkraft wäre, sich zerreißen zu können.
